scout-Serie: Smarte Kindheit

Interaktive Kinderbücher: Digitaler Mehrwert oder bloße Spielerei?

Foto: Daniel Zube

Ein Artikel von Stephanie Probst


Was ist da denn los? Janoschs kleiner Bär und Tiger werden auf einmal lebendig. Sie treten aus dem Bild heraus und der Garten vor ihrem Haus beginnt zu leben. Vögel zwitschern laut, Büsche rascheln und wiegen sich im Wind. Und ein Erzähler liest vor. Per Fingertipp rollt ratternd die Tigerente durchs Bild, und auch der alte Schaukelstuhl lässt sich anschubsen und knarrt dabei geräuschvoll.

Doch wie ist das möglich?

Wenn Bücher digital werden

Interaktive Kinderbücher können das: Einfach das Smartphone oder Tablet mit der entsprechenden App über die gedruckten Bücher halten. Die Möglichkeiten sind vielfältig. In der digitalen Bilderbuch-Welt springt ein Deckel vom Topf, Figuren bewegen sich, ein Puzzle poppt auf. Hinter einem Symbol verbergen sich Fragen zum Text, ein anderes macht Verstecktes sichtbar und erlaubt zum Beispiel den Blick in ein Vogelnest oder unter die Erde. Augmented Reality, erweiterte Realität heißt die Technologie dahinter, die in diesem Fall analoges Lesen mit digitaler Interaktivität verbindet.

Inhaltlich reicht die Spanne der interaktiven Bücher von Kinderbuchklassikern für Drei- bis Sechsjährige über Sachbücher für Kinder im Grundschulalter bis hin zu Lernspielen für Vorschulkinder und Schulanfänger. „Kinder lieben besonders die 3D-Effekte“, weiß Lisa Golze von den Hamburger Bücherhallen, wo man die Hybriden aus Buch und App ausleihen kann.

Das Lesen fördern

Doch die Bücher können mehr als Kinder mit Effekten begeistern. Sie bekommen einen ganz neuen Zugang zum Medium Buch. Auch „Lesemuffel“ interessieren sich nun für Bücher und das Lesen. „Es ist wichtig, Kindern verschiedene Zugangswege zum Lesen aufzuzeigen“, erklärt Melanie Würtz von der Stiftung Lesen. „Denn nicht jedes Kind reagiert auf jedes Medium gleich.“

Durch ihre Vorlesefunktion verbinden interaktive Bücher Lesen und Hören, was auch die Leseflüssigkeit fördern kann. „Wie die digitalen Lesestifte tragen sie zur Lese- und Sprachförderung bei“, sagt Lisa Golze. Das gelingt allerdings nur, wenn spielerische Elemente in den App-erweiterten Büchern die Aufmerksamkeit nicht zu sehr vom Text weglenken.

Und für Lisa Golze steht fest: „Interaktive Bücher ersetzen auch nicht das klassische Vorleseritual. Um eine emotionale Bindung zum Lesen aufzubauen, die das Leseverhalten der Kinder nachhaltig prägt, ist es wichtig, dass Eltern oder andere Bezugspersonen Kindern regelmäßig vorlesen.“

Spielerisch lernen

Durch die multimedialen Erweiterungen von Kinderbüchern lassen sich auch spielerisch Lerneffekte erzielen. Das gilt insbesondere für Bücher zu Sachthemen, zum Beispiel beim Erkennen von Vogelstimmen oder wenn zu „Der kleine Mozart“ die passenden Melodien erklingen. Noch einen Schritt weiter gehen Lern- und Übungsbücher, in denen Kindern verschiedene Aufgaben lösen müssen und so beispielsweise die Regeln für ein sicheres Verhalten im Straßenverkehr erlernen.

Erste Schritte in Richtung Medienkompetenz

Die Hybriden aus Buch und App bieten einen geschützten Raum, in dem erste digitale Kompetenzen entwickelt werden können. „Gerade diese Zwischenform ist gut, um einmal auszuprobieren: Ist das was für unsere Familie? Und wie geht mein Kind mit Apps um?“ meint Diplom-Pädagoge Marcel Rechlitz vom Leibniz-Institut für Medienforschung. Er beschäftigt sich mit der Bedeutung digitaler Medien für das Aufwachsen und kennt auch die Skepsis vieler Eltern gegenüber den Bildschirmmedien. Er rät jedoch, den Inhalt und vor allem die eigene Vorbildfunktion mehr in den Fokus zu rücken.

Ähnlich sieht das Melanie Würtz von der Stiftung Lesen: „Kinder sehen ihre Eltern am Tablet und Smartphone. Das macht sie neugierig auf diese Geräte. Durch die gemeinsame Beschäftigung mit app-unterstützten Büchern werden Kindern sinnvolle Zugänge zu digitalen Medien aufgezeigt.“

Die richtige Nutzung? Gemeinsam erleben!

Obwohl die Apps so konzipiert sind, dass Kinder die interaktiven Bücher alleine nutzen können, empfiehlt sich vor allem zu Beginn und mit kleineren Kindern ein gemeinsames Erleben. „Wie bei allen Medien ist es wichtig, sich zusammen mit dem Kind intensiv damit zu beschäftigen – auch um Frustrationen durch die gerade für kleine Kinder noch schwierige Handhabung zu vermeiden.“ Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert hat an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) verschiedene Forschungsprojekte zu interaktiven Büchern durchgeführt. „Die Icons sind nicht selbsterklärend und für Kinderhände ist es schwer, das Tablet lange genug ruhig zu halten und die richtigen Stellen im nötigen Abstand zu fixieren.“

Die Nutzung der Apps bedarf außerdem etwas Vorbereitung, die über die kindliche Geduld hinausgeht. So muss beispielsweise die App zum entsprechenden Buch erst geladen werden. Entscheiden Eltern irgendwann, dass ihr Kind nun alleine mit Buch und App umgehen kann, sollten sie feste Zeiten absprechen. Letztlich stellt sich dann aber immer noch die Frage, ob man seinem Kind überhaupt das teure Tablet oder Smartphone in die Hand drücken möchte.



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