Online-Artikel zur Printausgabe "Die wollen doch nur spielen!"

Spielerischer Freiraum ist so wichtig

Susanne Endres
Susanne Endres ist Dozentin des Fachbereichs Spiel an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e.V.

„Games schaffen auch Freiräume für Kinder und Jugendliche“, sagt Susanne Endres, Dozentin des Fachbereichs Spiel an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e.V. in Remscheid.

Warum spielen wir überhaupt?
Spielen gehört zum Menschsein, es steckt in uns. Im Spiel stehen mir andere Rollen in anderen Welten offen. Im Spiel kann ich träumen, mich entspannen, mich anspannen, mich fokussieren. Das alles sind gesunde Anstöße.

Ich glaube es ist wichtig, beim Spiel hin und wieder mal in eine Blase abzutauchen, sich zurückzuziehen – darin kann ich grundsätzlich nicht Schlimmes sehen. Im Gegenteil, ich halte das alles zusammen für „sehr gesund“. Und es ist sicherlich ungesund, nicht mehr zu spielen.

Und das gilt auch für Fortnite, Minecraft oder World of Warcraft?
Ja, das alles gilt auch fürs Computerspiel. Wir können nicht mehr nur analog denken, das Digitale gehört ebenso zu unseren Lebenswelten.

Das stößt ja viel Gutes an, und vieles, was im Virtuellen beginnt, setzt sich ja oft auch in der analogen Echtwelt fort: Durch Fortnite ist Tanzen wieder cool geworden, Geocaching treibt Kinder raus in die Pfützen, Multiplayerspiele verschaffen mir neue Kontakte in Form von Spielpartnern aus den USA oder Japan, mit denen ich mich vielleicht nicht nur über das Game unterhalte. Da entsteht viel Kommunikation und Austausch. Manche bekommen auf einmal einen starken Antrieb, besseres Englisch zu lernen.

Welche Rolle nehmen Games heute in der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen ein?
Computerspiele sind richtig cool für Heranwachsende, weil sie hier in neue, ganz andere Rollen schlüpfen können. Weil auch viele Aspekte, die im wahren Leben eine große Rolle spielen, schnell umgedeutet werden können: Alter, Gender, Herkunft, Aussehen. Ein kleines Mädchen kann ausprobieren, wie es sich anfühlt, ein Muskelprotz zu sein!

Dann bieten Games den Heranwachsenden also selten gewordene Freiräume?
Das trifft den Punkt. Unkontrollierte Räume, in denen Jugendliche mal ungestört ihr Ding durchziehen können, sind sehr wichtig – sie werden aber immer seltener. Kinder und Jugendliche wachsen in einem sehr geregelten und durchorganisierten Umfeld heran, da gibt es kaum noch „Spielräume“ – interessant, wie das Wort passt, oder?

So trifft man sich heute ganz einfach im Netz, unter anderem auch, weil die Jugendlichen vor lauter Hausaufgaben, Sport und Instrument lernen kaum noch Zeit haben, um durch die Gegend zu fahren, wenn sie Freunde treffen wollen. Ihr Alltag ist sehr verdichtet, da ist es wenig verwunderlich, wenn sie online sozial werden. Ich nenne das „digitales Hütten bauen“.

Meine Generation hat das noch „in echt“ am Waldrand gemacht, die Kinder müssen das heute im Netz machen. Denn solche Freiheiten, wie ich und meine Altersgenossen sie hatten, bekommen Kinder in ihrem Leben nicht mehr – einfach raus aufs Feld nach den Hausaufgaben, und dann bis zum Abendbrot nicht mehr gesehen werden! Der Lebensraum von Kindern und Jugendlichen ist enger geworden.

Sollten Eltern dann das Computerspiel der Kinder ganz einfach „durchleiden“?
Erziehung verläuft ja nicht nur harmonisch und konfliktfrei. Mir ist hier wichtig, dass eine gute Kommunikation, ein guter Kontakt und Interesse auch dann vorhanden sind, wenn die Eltern nicht mehr immer verstehen, was Kinder und Jugendliche da machen.

Es ist gut, wenn Eltern selbst in schwierigeren Phasen den Kontakt halten können. Der muss auch nicht immer total intensiv sein! Aber Eltern sollten schon nachfragen, was das Kind da tut, es sich erklären lassen, um wenigstens im Ansatz zu verstehen, was es treibt. Wenn ich kein völlig übertriebenes Nutzungsverhalten beobachte, kann ich es ja – im guten elterlichen Vertrauen – auch mal ein bisschen laufen lassen und mir sagen: „Da kommt schon was Gutes bei raus!“