Experteninterview - Informatik für Kinder

"Kinder sollen die Dinge selbst in der Hand haben"

Schon Kinder im Grundschulalter erkennen intuitiv, wie Informationen gesammelt und sortiert werden, sagt Dr. Lutz Hellmig im Gespräch mit scout.


Foto: ITMZ |Universität Rostock

Das Gespräch führte Dr. Thomas Voß.


scout: Müssen Kinder wissen wie Computer funktionieren?

Hellmig: Jein. Das zentrale Thema ist nicht die Funktionsweise des Computers, die zentralen Begriffe sind Daten und Information. Die heutige Herausforderung ist, dass wir Daten gewinnen, zu Informationen verarbeiten und diese übertragen und interpretieren müssen. Dabei hilft uns natürlich Technik, dabei hilft uns ein Computer. Es ist also nicht schädlich, wenn man weiß, wie Rechner funktionieren. Aber sich darauf zu beschränken, das reicht nicht!

scout: Können Kinder denn schon verstehen, was Daten eigentlich sind?

Hellmig: Ja, sicherlich. Kinder hantieren auch schon mit Daten: wenn sie spielen, wenn sie einfach Striche machen, wie oft jemand gewonnen hat. Wenn ein Gesamtsieger ermittelt werden muss. Es gibt doch immer wieder Situationen im Alltagsleben der Kinder, in denen sie sich Gedanken machen, wie man Ergebnisse festhält und wie die verarbeitet werden sollten. Dann agieren die Kinder ganz intuitiv und fragen sich, wie man Daten möglichst schnell und sicher verarbeiten kann und welche Grenzen solche Systeme haben. Beispielsweise denken sich fast alle Kinder irgendwann mal eine Geheimschrift aus, um Informationen zu verschlüsseln. Die ist natürlich aus informatischer Sicht leicht zu knacken. Aber die Neugier für solche Prozesse, die ist schon bei Kindern da.

scout: Sollen Kinder in der 3. oder 4. Klasse etwas anderes über Computer und Daten lernen als Kinder in Klasse 1 und 2?

Hellmig: Da sind sich die Gelehrten nicht ganz einig. Da gibt es auch international sehr verschiedene Ansätze. In England wurde beispielsweise verbindlicher Informatikunterricht ab Klasse eins in die Lehrpläne aufgenommen. Ich bezweifele aber, dass so etwas in den sechzehn deutschen Bundesländern durchsetzbar ist. Ich persönlich wäre zufrieden, wenn Informatik zunächst im Sachunterricht der Grundschule stattfinden würde. In den weiterführenden Schulen sollte dann eine verbindliche informatische Bildung erfolgen. Man sollte allerdings die informatische Bildung nicht auf den Umgang mit Medien oder Geräte wie den Computer beschränken. Entscheidend ist, Kinder dabei zu unterstützen, mündige Bürger zu werden! Darunter verstehe ich, dass Kinder ein Bewusstsein entwickeln für die eigene Gestaltungsfähigkeit von Informatiksystemen. Kinder sollen selbst Dinge in der Hand haben, Dinge gestalten und entwickeln können. Kinder sind dann nicht Sklaven der Technik. Vielmehr hört die Technik auf sie. Wenn sie sich gut ausdrücken.

scout: Gibt es beim digitalen Lernen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen?

Hellmig: Natürlich! Jungen sind von sich viel überzeugter. Sie haben ein erhebliches Selbstbewusstsein. Aber Mädels sind oft besser sortiert und gründlicher. Sie sind sich dieser Fähigkeiten aber leider nur selten bewusst. Da muss man früh handeln. Wenn wir erst in der 9. Klasse mit informatischer Bildung anfangen, sind schon fragwürdige Rollenbilder entwickelt worden, sodass wir die Mädels dann ganz selten noch für die Informatik gewinnen. Das sehen wir auch in der Ausbildung von Lehrkräften und in der Informatikausbildung. Mädchen entwickeln einen anderen Zugang zur Informatik, sobald diese nicht um ihrer selbst willen betrieben wird, sondern wenn ein Lebensbezug da ist. Jungs kann man sagen, programmiere mal, dass das Rote auf das Blaue schießt, und dann machen die das. Den meisten Mädchen ist das ein bisschen zu billig. Sie fühlen sich erst angesprochen, wenn sie einen richtigen Kontext haben.

scout: Welche Rolle spielen die Eltern bei der digitalen Bildung?

Hellmig: Die Eltern sind sehr wichtig. Wenn ich mich mit Eltern beispielsweise über die Förderung der Kreativität ihrer Kinder unterhalte, dann denken die Eltern sofort an bildende Kunst, Musik und Tanz. Dass mathematische, informatische, naturwissenschaftliche und technische Dinge auch kreative Möglichkeiten bieten, sehen viele nicht. Eltern sollten ihren Kindern geeignete Angebote machen. Es gibt bereits für Grundschüler wunderbares Spielzeug, mit dem man lernen kann zu programmieren.


Dieser Artikel stammt aus dem scout-Heft 2/2018: "Wir programmieren!"

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